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Der Geschmack des Lebens - eine Liebeserklärung an Schwabing

Meine süßbittere Heimkehr

Mein Leben ist ein schwerer Mantel, gewoben aus den Fäden vergangener Jahre, die sich um meine Schultern legen, manchmal warm, oft erdrückend. Ich habe gekämpft, habe gewonnen, habe verloren. Ich habe geliebt, so tief, dass es wehtat, und bin verlassen worden, habe die Scherben meiner Träume aufgesammelt, nur um sie wieder fallen zu lassen. Frauen, deren Lachen noch in meinen Ohren klingt, Alkohol, der die Nächte verschwimmen ließ, eine Ehe, die wie ein Haus in einem Sturm zusammenfiel, Kinder, die ich liebe, aber nicht oft genug sehe, und Drogen, die mich für einen Moment frei machten, nur um mich tiefer zu fesseln – all das hat Spuren hinterlassen, Narben, die niemand sieht, aber ich spüre. Immer wieder bin ich aufgestanden, habe Staub von meinen Knien geklopft, weitergemacht. Doch jetzt, mit 66 Jahren, will ich nur noch Ruhe, Frieden, einen Ort, an dem die Welt nicht fragt, was ich getan habe, sondern mich einfach sein lässt. Die Trattoria nebenan, dieser kleine Stehitaliener in Schwabing, ist dieser Ort. Ein Fleckchen Erde, das nach Olivenöl, frischem Basilikum und alten Geschichten riecht, ist mein Zuhause, mehr als die vier Wände, in denen ich schlafe. Durch Zufall bin ich zu Geld gekommen, ein Privatier, der sich treiben lässt, aber die Trattoria ist mein Anker, mein Hafen. Ohne meinen kleinen Weißwein, ohne eine dampfende Schale Pasta, könnte ich den Tag nicht ertragen. Die italienische Küche ist kein Heilmittel, kein Trost, sondern ein leises Echo, das die Schicksalsschläge meines Lebens untermalt, wie eine traurige Melodie, die man nicht aus dem Kopf bekommt, aber dennoch liebt.

Der Tag in der Trattoria

Mittags, wenn die Sonne durch die schmutzigen Fenster fällt und goldene Streifen auf den Holzboden malt, sitze ich an meinem Stammplatz, einem kleinen Tisch in der Ecke, wo der Duft von frischem Basilikum und geschmolzenem Pecorino die Luft füllt. Die Trattoria ist eine Bühne, ein Kaleidoskop aus Gesichtern und Geschichten, die sich jeden Tag neu zusammensetzen. Heute war Hans da, mein alter Freund, dessen Augen trüb waren wie ein Novemberhimmel. Seine Frau hatte ihn verlassen, nach zwanzig Jahren, hatte ihre Koffer gepackt und war gegangen, ohne ein Wort. Er saß mir gegenüber, stocherte in einer Schale Gnocchi al pomodoro, die Soße rot wie das Blut eines gebrochenen Herzens. „Es ist vorbei“, sagte er, und seine Stimme war brüchig, wie altes Pergament. Ich nickte, weil Worte nichts ändern, weil ich weiß, wie es ist, wenn etwas zerbricht. Der Wirt, ein Mann mit buschigen Augenbrauen und einem Lächeln, das Geschichten erzählt, brachte ein Tiramisù. Die Mascarponecreme war weich, süß, mit einem Hauch von Kaffee, der den bitteren Geschmack von Verlust nicht vertreiben konnte, aber ihn für einen Moment erträglich machte, wie ein letzter Akkord in einer traurigen Sonate.

Später kam Maria, eine vergangene Liebe, deren Gesicht noch immer die Züge trug, die ich einst in den Nächten nachzeichnete. Sie lächelte, aber ihre Lippen zitterten, als sie von ihrem neuen Leben erzählte, von einem Mann, der sie nicht verstand, von Träumen, die verblasst waren wie alte Fotos. Wir tranken Weißwein, einen Pinot Grigio, kalt und klar wie die Wahrheit, die wir beide nicht aussprechen wollten. Die Pasta, ein Teller Spaghetti aglio e olio, war simpel, scharf, ein bisschen wie unsere Liebe damals – intensiv, brennend, aber nicht von Dauer. Sie sprach von den Jahren, die vergangen waren, von den Fehlern, die wir beide gemacht hatten, und ich hörte zu, nippte an meinem Glas und fühlte mich zuhause. Die Trattoria fragte nicht nach meiner Vergangenheit, nach den Frauen, dem Alkohol, den Drogen. Sie nahm mich an, wie ich war, mit meinen Narben und meinem leisen Wunsch nach Frieden.

Die Stunden vergingen, neue Gesichter tauchten auf. Ein Künstler mit Farbflecken an den Händen, der von einer Ausstellung sprach, die niemand besucht hatte, seine Stimme voll von Bitterkeit, aber auch von Hoffnung. Ein Lebenskünstler, der von einer Reise nach Neapel erzählte, wo er eine Nacht mit einer Fremden verbracht hatte, nur um am Morgen allein aufzuwachen. Gebrochene Seelen, die sich an den Tresen lehnten, ein Glas Chianti in der Hand, und schwiegen, als trügen sie die Welt auf ihren Schultern, so wie ich. Die Trattoria nahm sie alle auf, wie eine Mutter, die ihre Kinder nicht nach ihren Fehlern fragt. Ich aß meine Pasta, vielleicht eine Lasagne, deren Schichten aus Teig, Fleisch und Bechamel die Schichten meines Lebens widerspiegelten – schwer, reich, manchmal zu viel, aber immer ein Trost. Der Weißwein, mein treuer Begleiter, glättete die Kanten des Tages, machte die Erinnerungen weicher, die Narben weniger scharf.

Manchmal, wenn die Gespräche verstummten, starrte ich auf die Tafel, auf der die Gerichte des Tages mit Kreide geschrieben standen: „Ravioli al tartufo“, „Ossobuco alla milanese“, „Torta della nonna“. Die Namen waren wie Poesie, jedes Gericht eine Strophe, die von Tradition, von Liebe, von Verlust erzählte. Ich dachte an meine Kinder, die ich nicht oft genug sah, an die Nächte, in denen ich zu viel trank, an die Frauen, die kamen und gingen. Die Trattoria war mein Beichtstuhl, mein Refugium, wo ich nicht erklären musste, warum ich so war, wie ich war. Ein Teller Risotto alla milanese, golden wie die Sonne, die draußen schien, brachte mir für einen Moment Frieden, ein Frieden, den ich nirgendwo anders fand.

Die Straßen von Schwabing

Abends, wenn die Trattoria ihre Lichter dimmte und der Wirt die Stühle hochstellte, machte ich mich auf den Heimweg. Die Straßen von Schwabing waren still, nur das leise Summen der Stadt lag in der Luft, ein fernes Lied von Autos und Stimmen. Die Gehsteige, aufgeheizt vom Tag, gaben ihre Wärme ab, ein schwacher Atem, der an meinen Schuhen zog, als wollte er mich zurückhalten. Die alten Häuser, mit ihren stuckverzierten Fassaden, standen wie Wächter, ihre Fenster dunkel, manchmal ein Licht, das von einem einsamen Leben zeugte. Die Luft roch nach Sommer, nach Staub und einem Hauch von Jasmin, der aus einem verborgenen Garten kam, ein Duft, der mich an vergangene Sommer erinnerte, an Nächte, in denen ich noch glaubte, alles sei möglich.

Ich ging langsam, die Hände in den Taschen, den Geschmack von Panna cotta noch auf der Zunge, die ich zum Abschluss gegessen hatte, weil ein Tag ohne Nachtisch kein Tag war. Die Panna cotta war weich, süß, mit einem Hauch von Vanille, aber auch bitter, weil sie das Ende des Tages markierte, das Ende der Gespräche, der Begegnungen. Meine Schritte hallten auf dem Pflaster, ein gleichmäßiges Klacken, das mich an die Vergänglichkeit erinnerte, an die Jahre, die wie Sand durch meine Finger geronnen waren. Ich dachte an Hans, an Maria, an die Gesichter, die morgen vielleicht nicht mehr da sein würden, an die Geschichten, die sich in meinem Herzen sammelten wie Olivenöl in einer Schale. Die Straßen führten mich nach Hause, aber mein Herz blieb in der Trattoria, bei dem kleinen Weißwein, der Pasta, den Schicksalen, die sich dort trafen.

Manchmal blieb ich stehen, lehnte mich gegen eine Hauswand, die noch warm war vom Tag, und zündete mir eine Zigarette an. Der Rauch stieg in die Nacht, vermischte sich mit dem Geruch der Stadt, und ich fühlte mich lebendig, obwohl ich so viel verloren hatte. Die Trattoria hatte mir das gegeben – nicht nur Essen, sondern einen Ort, an dem ich sein konnte, wer ich war, ohne Erklärungen. Ich dachte an die Kämpfe, die ich ausgefochten hatte, die Siege, die bitter schmeckten, die Niederlagen, die mich fast brachen. Ich dachte an die Liebe, die ich gegeben und verloren hatte, an die Träume, die zerbrochen waren, und an die Ruhe, die ich nun suchte. Die Straßen von Schwabing, mit ihren warmen Steinen und ihrem leisen Flüstern, führten mich nach Hause, aber sie konnten die Last auf meinen Schultern nicht nehmen.

Der unvermeidbare Abschied

Und doch, während ich durch die Straßen ging, die Wärme des Pflasters unter meinen Füßen spürte, wusste ich, dass ein größerer Abschied kam. Das Leben, so reich und schwer wie eine Schale Risotto, würde eines Tages enden. Meine Vergangenheit – die Frauen, der Alkohol, die Drogen, die Kinder, die ich nicht oft genug hielt – hatte mich gezeichnet, hatte mich zu dem Mann gemacht, der ich war, mit grauem Haar und Augen, die zu viel gesehen hatten. Die Trattoria hatte mich ertragen, hatte mir Frieden gegeben, wenn auch nur für ein paar Stunden am Tag. Sie war mein Hafen, mein Zuhause, der Ort, der die Bitterkeit des Lebens mit einem Löffel Tiramisù erträglich machte, mit einem Schluck Weißwein, der die Kehle kühlte, mit einer Schale Pasta, die nach Familie schmeckte, auch wenn meine eigene so fern war.

Ich wusste, dass der Tag kommen würde, an dem ich nicht mehr durch diese Türen treten würde, an dem der Wirt mir kein Glas mehr einschenken, kein Teller Pasta mehr vor mich gestellt würde. Der Gedanke war bitter, wie der letzte Schluck Espresso, wenn die Tasse leer ist und die Welt still wird. Meine Kämpfe, meine Siege, meine Verluste – sie würden mit mir gehen, und die Trattoria würde bleiben, würde andere aufnehmen, andere Geschichten hören. Aber solange ich atme, solange meine Beine mich tragen, werde ich zurückkehren. Zur Trattoria, zu meinem Platz in der Ecke, zu den Gesichtern, die kommen und gehen, zu den Geschichten, die sich wie Olivenöl in meinem Herzen absetzen. Ich werde immer wiederkommen, weil hier, in diesem kleinen Stehitaliener, das Leben schmeckt – süß, bitter, vollkommen. Und wenn der letzte Tag kommt, wenn die Last meines Lebens zu schwer wird, werde ich an die Trattoria denken, an den Geschmack von Panna cotta, an das Lachen von Hans, an Marias zitterndes Lächeln, und ich werde Frieden finden, weil ich hier, für einen Moment, zuhause war.